Neufassung der Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV)
Sachstand
Am 01.01.2022 ist eine neue Fassung der Tierschutz-Hundeverordnung (TierSchHuV) in Kraft getreten, die erneut mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe arbeitet.
Die Stellungnahmen des VDH und seines wissenschaftlichen Beirates zu den Entwürfen dieser Verordnung fanden kaum Berücksichtigung.
Weitreichende Neuerungen, die die Bewertung und Beurteilung von Hunden in der Ausbildung und im Sport betreffen, sind erst kurz vor Beschlussfassung im Bundesrat Ende November 2021 hinzugefügt worden.
Wir wurden, wie etwa auch viele diensthundeführende Behörden, von diesen kurzfristigen Ergänzungen überrascht. Eine Möglichkeit, sich sachverständig dazu zu äußern, wurde keiner der von diesen Regelungen betroffenen Verbänden und Organisationen mehr gegeben, auch dem VDH nicht.
Die Neufassung der TierSchHuV stellt aber nicht nur den Hundesport und das Prüfungswesen, sondern auch Veranstalter von Rassehunde-Ausstellungen im VDH vor große Herausforderungen. Selbst Zuchtzulassungsprüfungen können davon betroffen sein.
Mit unserem heutigen Rundschreiben versuchen wir, den betroffenen VDH-Mitgliedsvereinen erste Hilfen bei der Anwendung dieser neuen Verordnung an die Hand zu geben.
Ausstellungsverbot wurde auf Hunde mit Qualzuchtmerkmalen erweitert
Sah der bisherige § 10 der Tierschutz-Hundeverordnung im Wesentlichen ein Ausstellungsverbot für tierschutzwidrig an Ohren und Ruten kupierten Hunden vor, wird dieses Verbot nun auch auf Hunde mit sogenannten Qualzuchtmerkmalen ausgedehnt.
Dies wird u.a. angenommen, wenn Hunden erblich bedingt
- Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten,
- mit Leiden verbundene Verhaltensstörungen auftreten,
- jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
- die Haltung nur unter Schmerzen oder vermeidbaren Leiden möglich ist oder zu Schäden führt.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hofft dadurch, die Nachfrage und Zucht von Hunden mit Qualzuchtmerkmalen deutlich reduzieren zu können.
Aus unserer Sicht ist dies ein falscher Ansatz, worauf wir in unseren Stellungnahmen mehrfach hingewiesen haben.
Strenge Zuchtvorgaben, denen sich Züchter im VDH freiwillig verpflichten und die Züchter außerhalb des VDH nicht treffen, haben dazu geführt, dass nur ein Bruchteil der Population dieser Rassen in Deutschland dem VDH zuzuordnen sind. Gleichzeitig haben wir das Ausstellungswesen vom Zuchtbereich entkoppelt, positive Ausstellungsergebnisse beinhalten nicht den Automatismus einer Zuchtzulassung.
Wir als Hobbyzuchtverband haben kein Interesse daran, die erhöhte Nachfrage nach diesen Rassen zu bedienen. Im Vordergrund stehen für uns die verantwortungsvolle Zucht und der Erhalt dieser Rassen.
Im VDH nehmen die Welpenzahlen dieser Rassen trotz unserer Ausstellungen seit Jahren ab, und dass obwohl die Beliebtheit dieser Rassen unverändert gegeben bzw. gestiegen ist.
Ein weiteres Indiz dafür, dass VDH-Rassehundeausstellungen keine Zucht- und Kaufanreize schaffen und die Ursachen für die steigende Verbreitung von Hunden mit Qualzuchtmaßmerkmalen außerhalb unseres Verbandes zu suchen sind.
Um die Zucht von derartigen Hunden zu verringern, müsste vielmehr der Heimtierzuchtbereich stärker reglementiert werden. Außerhalb des VDH und seiner strengen Zuchtbestimmungen und -kontrollen bedienen Vermehrer, Importe aus dem Ausland und Züchter die Nachfrage nach diesen Hunden.
Qualzuchteigenschaft muss jedem Hund individuell nachgewiesen werden
Der Vorwurf der Qualzucht trifft nach unserer Rechtsauffassung auch weiterhin nicht eine bestimmte Hunderasse im Ganzen, sondern muss jedem betroffenen Hund individuell nachgewiesen werden.
Der Wissenschaftliche Beirat des VDH hat in seiner Stellungnahme gegenüber dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) auf die Problematik der praktischen Durchführbarkeit hingewiesen:
„Der individuellen Interpretation und dem Handlungsspielraum sind keine Grenzen gesetzt. Zudem fehlt die wissenschaftliche Grundlage zur Bewertung von körperlichen Merkmalen hinsichtlich ihrer Relevanz insbesondere für Leiden. Entscheidend muss immer eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Hundes sein. Einfache phänotypische Merkmale, die zwangsläufig auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung hinweisen, gibt es nicht. Es ist aus Sicht des Wissenschaftlichen Beirats nicht vertretbar, Hunderassen pauschal von Ausstellungen auszuschließen, weil es immer einen hohen Anteil an Individuen gibt, die keine entsprechenden Merkmale aufweisen und keine funktionellen Einschränkungen haben.“
Ausstellungsverbot für kupierte Hunde nun auch auf sonstige Veranstaltungen ausgedehnt
§ 10 TierSchHuV dehnt das bestehende Ausstellungsverbot für tierschutzwidrig kupierte Hunde auf „sonstige Veranstaltungen, bei denen Hunde geprüft, verglichen oder sonst beurteilt werden“ aus. Diese neue und weitreichende Bestimmung erfasst natürlich auch Hunde mit „Qualzuchtmerkmalen“.
Im Referentenentwurf der Verordnung waren von dem Verbot der Teilnahme an „sonstigen Veranstaltungen“ zunächst nur Hunde mit Qualzuchtmerkmalen erfasst, was dann wie dargestellt erweitert wurde.
Da tierschutzwidrig kupierte Hunde, zu diesen gehören auch nicht wenige aus schwierigsten Lebensbedingungen gerettete Tiere, nach Deutschland verbracht und hier auch erworben werden dürfen, orientiert sich diese Vorgabe nicht an den tatsächlichen Gegebenheiten.
Ihr liegen offensichtlich sachfremde Erwägungen zu Grunde.
Auch diesen Hunden muss die Möglichkeit gegeben werden, tierschutzgerecht ausgebildet und artgerecht beschäftigt zu werden. Nach dem Wortlaut der jetzigen Vorschrift wäre solchen Hunden sogar die Begleithundeprüfung verschlossen, selbst jedwede sonstige Ausbildung zur Alltagstauglichkeit nicht möglich. Sie dürften nicht mal an Vorbereitungskursen zum Erwerb einer landesgesetzlich vorgegebenen Sachkunde teilnehmen.
Dies kann nicht gewollt sein. Ob Qualzucht oder kupiert, es ist unserer Auffassung nach sogar tierschutzwidrig, Hunde pauschal nur aufgrund einer generellen gesetzlichen Einstufung von vielen Formen artgerechter und individuell angemessener Beschäftigung auszuschließen.
Der VDH stellt den notwendigen Tierschutz etwa dadurch sicher, dass u.a. VDH-Leistungsrichter aufgrund der VDH-Regularien verbindlich dazu angehalten und ermächtigt sind, kranke und überforderte Hunde von Veranstaltungen sofort auszuschließen.
Zuchtzulassungen
Auch dürften nach dem jetzigen Wortlaut der Verordnung tierschutzwidrig kupierte Hunde und ggf. gesunde Hunde nicht mehr anlässlich einer Zuchtzulassungsvorstellung „beurteilt“ werden, sie würden damit aus der Zucht ausgeschlossen. Dadurch würde der Genpool betroffener Rassen deutlich reduziert, was aus unserer Sicht der eigentlichen Intention des BMEL, dem Tierschutz Rechnung tragen zu wollen, widerspricht.
Ebenso können Hunde wegen pauschal unterstellter und nicht nachgewiesener Qualzuchteigenschaften nicht mit einem faktischen Zuchtverbot belegt werden. Bei uns verhindert gerade das System der Zuchtzulassung, dass mit kranken Hunden gezüchtet wird.
Im VDH wäre bei einer pauschalisierenden Auslegung dieser Vorschrift demnach die Zucht ganzer Rassen nicht mehr möglich. Überall dort wo keine Zuchtzulassung oder Beurteilung vorgesehen ist, etwa bei Züchtern außerhalb des VDH oder im Ausland, könnten diese Hunde ungehindert vermehrt werden.
Unser transparentes und verifizierbares Verfahren wird gegen uns verwendet.
Qualzuchtgutachten ist nicht einschlägig
Bei der Zulassung einer Veranstaltung obliegt es in der Regel dem zuständigen Amtsveterinär zu entscheiden, welche Hunde auszuschließen wären. Der unbestimmte Rechtsbegriff führt dazu, dass der Amtsveterinär dabei einen weitgefassten Entscheidungsspielraum hat. Hier stellt sich das Problem der Praktikabilität. Eine individuelle Begutachtung einzelner Hunde vor Ort (beim Einlass oder am Bewertungsring) ist nicht sachgerecht und gefährdet den geregelten Ablauf einer Ausstellung.
Das sogenannte Qualzuchtgutachten aus dem Jahr 1999 als Auslegungshilfe heranzuziehen kann aus unserer Sicht nicht weiterhelfen. So hat dieses nie modifizierte Gutachten viele gesundheitliche Weiterentwicklungen von Hunden in den letzten zwei Jahrzehnten nicht berücksichtigt.
Auch wurde es zur Auslegung des § 11 b Tierschutzgesetz vorgesehen, den hier diskutierten neuen § 10 Tierschutz-Hundeverordnung gab es bei Erstellung des Qualzuchtgutachtens noch nicht.
Veraltetes und Sachfremdes kann nicht dazu herangezogen werden, um Hunde von Ausstellungen, Veranstaltungen, Ausbildung oder der Zucht auszuschließen.
Bundesrat sieht Nachbesserungsbedarf
Selbst der Bundesrat bat die Bundesregierung bei der Entschließung über die Tierschutz-Hundeverordnung zu prüfen, inwieweit in Ergänzung eine Aktualisierung und Konkretisierung des Gutachtens zur Auslegung von Paragraf 11b des Tierschutzgesetzes („Qualzuchtgutachten“) in naher Zukunft möglich ist.
Neuentwickelter Fitnesstest als Zertifikat
Eine Sichtung oder oberflächliche Untersuchung durch einen Amtsveterinär am Rande einer Ausstellung ist nicht dazu geeignet, den Tatbestand des § 10 Tierschutz-Hundeverordnung festzustellen. Äußere Merkmale lassen keine Rückschlüsse z.B. auf die Ausprägung der Atemwege zu.
Prof. Dr. Ingo Nolte von der Stiftung Tierärztliche Hochschule (TiHo) Hannover hat gemeinsam mit der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Ludwig-Maximilians-Universität München einen Fitnesstest entwickelt, mit dem zunächst Möpse identifiziert werden können, die frei atmen und sich daher als Elterntiere für die Zucht von gesunden Hunden ohne Atembeschwerden eignen.
Unter standardisierten Bedingungen werden von Tierärzten etwa unter Belastung Herzfrequenz, Atmung und Atemgeräusche des Hundes gemessen. Dieses von VDH und der Gesellschaft zur Förderung Kynlogischer Forschung (GKF) finanziell unterstützte Projekt wird weiterhelfen, geeignete und gesunde Zuchttiere auszuwählen und kann zeitnah auch für andere betroffene Rassen installiert werden.
Hunde, die das entsprechende Zertifikat bei erfolgreicher Durchführung des Fitnesstests erhalten, erfüllen aus unserer Sicht immer auch die Vorgaben des neuen § 10 Tierschutz-Hundeverordnung und können uneingeschränkt an Rassehunde-Ausstellungen teilnehmen.
Eine Ausweitung des Tests für andere Rassen ist in Vorbereitung.
Breed Specific Instructions
Angelehnt an die durch die Nordic Kennel Union veröffentlichten sogenannten Breed Specific Instructions (BSI) wurden vom VDH eigene BSI entwickelt, die künftig im Ausstellungswesen des VDH Anwendung finden werden.
Die dabei berücksichtigen Rassen wurden auf der Grundlage des geschätzten Risikos gesundheitsgefährdender Übertreibungen der Rassenmerkmale und einer möglichen irreführenden Interpretation des Standards ausgewählt.
Die BSI beinhalten wichtige Empfehlungen an den Richter, die rassespezifischen Risikobereiche zu beobachten und Probleme sowie die Funktionalität in diesen Bereichen zu beachten. Sie sind eine Ergänzung zum Rassestandard, der rassetypische Merkmale und Verhalten beschreibt.
Wir verfolgen mit den BSI das Ziel, weiterhin gesunde Rassehunde ohne gesundheitsgefährdende Übertreibungen im Ausstellungsring zu sehen und damit auch für die zukünftige Existenz unserer Rassen Sorge zu tragen.
Stachelhalsband
§ 2 Abs. 5 TierSchHuV verbietet, „bei der Ausbildung, Erziehung und dem Training von Hunden Stachelhalsbänder oder andere für Hunde schmerzhafte Mittel“ einzusetzen.
Dieses Verbot erfasst laut einer Auskunft des BMEL „Stachelhalsbänder und soll ein Ausweichen auf Stachelhalsband-ähnliche Produkte unterbinden“.
Schon in den zurückliegenden Jahren gab es teilweise gerichtliche Entscheidungen zum Verbot des Einsatzes eines Stachelhalsbandes, die diese Vorschrift nun klarstellend umzusetzen versucht.
Die Verwendung des Stachelhalsbandes und Stachelhalsband-ähnlicher Produkte sind in im VDH und seinen Mitgliedsvereinen nicht erlaubt.
Dies steht nicht zur Diskussion. Anders geartete, tierschutzgerechte negative Einwirkungsmöglichkeiten auf den Hund bleiben unserer Rechtsauffassung nach möglich, soweit sie notwendig sind. Dies gebietet schon die ebenfalls gesetzlich vorgegebene Verkehrssicherungspflicht, die jeden Hundehalter betrifft (OLG Hamm, 03.02.2015-9 U 91/14).
Zusammenfassung
Die Zuständigkeit für die Überwachung der Vorgaben der TierSchHuV liegt in der Regel bei örtlichen Behörden, meist dem Amtsveterinär. Unbestimmte Rechtsbegriffe räumen diesen große Ermessenspielräume ein, Auslegungshilfen des BMEL sind uns bisher nicht bekannt. Auch bei den Behörden ist die Verunsicherung groß.
Es ist für jeden konkreten Hund im Einzelfall zu entscheiden und nachzuweisen, ob Qualzuchtmerkmale vorliegen oder nicht. Jede andere Handhabung ist aus unserer Sicht rechtswidrig und willkürlich.
Dies wird gerade bei großen Veranstaltungen kaum umsetzbar sein und dürfte mit großen Rechtsunsicherheiten für die handelnden Behörden belastet sein.
Unklar ist auch, wie weitreichend die Ausdehnung des Ausstellungsverbots auf Veranstaltungen, bei denen Hunde beurteilt, geprüft oder verglichen werden, ist.
Der einfache Trainingsbetrieb, die artgerechte Auslastung von Hunden und das Erlernen alltagstauglichen Verhaltens kann schon vom Wortlaut her nicht davon erfasst werden.
Klar ist lediglich, dass das Stachelhalsband und Stachelhalsband-ähnliche Hilfsmittel verboten sind. Dies gilt selbstverständlich auch im VDH.
Die gültigen Prüfungsordnungen VDH/FCI können weiter zur Anwendung kommen.
Ausblick
In den letzten Tagen haben uns immer wieder Anfragen erreicht, die sich eine verbindliche Auslegung der TSchHuV und rechtssichere Vorgaben von uns wünschen.
Bei allem Verständnis werden wir das nicht leisten können. Zu unklar sind die hier dargestellten Neuerungen der Verordnung gefasst, zu unterschiedlich wird die Auslegung durch die örtlich zuständigen Behörden sein. Erste uns zugegangene Rückmeldungen zeigen dies bereits.
Belastbare Rechtsprechung dazu kann es noch nicht geben.
Wir können zum jetzigen Stand nur Empfehlungen aussprechen und die weiteren Schritte aufzeigen:
So sollten Sie sich frühzeitig vor Veranstaltungen und Ausstellungen mit den zuständigen Behörden in Verbindung setzen, um die Durchführbarkeit sicherzustellen bzw. nicht zu gefährden.
Die oben aufgeführten Argumente können dabei helfen. Die Vollzugsbehörden lassen sich, wie die ersten Erfahrungen zeigen, mit guten Argumenten überzeugen. Sie scheuen oftmals den Rechtsstreit, der bei Veranstaltungsverboten oder überzogenen Einschränkungen immer droht. Auch die Behörden haben ein Interesse an einer Ausbildung von verhaltenssicheren Hunden.
Wir werden Ihnen mit den BSI und dem Fitnesstest zeitnah weitere Werkzeuge an die Hand geben, die Sie in Ihrer Argumentation unterstützen können. Die Anwendung des Fitnesstests auch für andere betroffene Rassen ist bereits in Vorbereitung.
Der VDH hat zudem eine sachverständige Arbeitsgruppe berufen, die unterstützend zu den bestehenden Ordnungen weitere Leitlinien für die Erziehung und Ausbildung von Hunden erarbeiten wird.
Gleichzeitig werden wir uns an das BMEL wenden, um Rechtsklarheit zu bekommen und das Ministerium sowie die ausführenden Behörden auf die Umsetzungsproblematiken der TierSchHuV hinzuweisen. Dabei werden wir erneut sachverständige Beratung durch den VDH und den Wissenschaftlichen Beirat anbieten.
Der VDH setzt sich gegenüber dem BMEL und Behörden intensiv dafür ein, das Rassen nicht generell unter Qualzuchtverdacht gestellt werden und die Individualbegutachtung einzelner Hunde nach transparenten und nachvollziehbaren Kriterien erfolgen muss.
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